Folge 19
Danke für deine nächtliche Nachricht. Sie hat mich am Folgetag sehr inspiriert.
Ja, die Nacht. Ein Phänomen, mit dem der Mensch existentielle Erfahrungen verbindet. Schatten und Lichtspiele regen die Phantasie an. Die Gefahr oder das Glück sieht der Mensch am helllichten Tag auf sich zukommen. In der Nacht lernt er Vertrauen.
Das Buch der Bücher ist voll von Ereignissen, die beispielhaft stehen für ein Leben im Wechsel von Tag und Nacht, Werden und Vergehen, Licht und Dunkel, Tod und Leben.
Schon in der Schöpfungsgeschichte ist die Nacht mehr als eine Zähleinheit für sieben Tage, unseren Wochenrhythmus. Liest man diese Erzählung einmal ganz bewusst (Genesis 1,1 – 2,4) dann fällt auf, dass der “neue” Tag mit dem Abend beginnt. Verbinde ich den Tag mit Aktivität und die Nacht mit Ruhe und Ge-lassen-heit, kommt für mich darin eine Ermutigung zum Ausdruck, zuerst einfach zu sein, bevor wir uns engagieren. Nicht was oder wer wir sind ist entscheidend, sondern aus welcher Grundhaltung heraus wir aktiv werden. Die Schöpfungsgeschichte ermutigt uns gottähnlich, wert-schöpfend zu sein, wenn wir wie er, der am siebten Tag ausruhte, aufatmen im Liegestuhl, in der Stille der Nacht.
In dem Schutz der Dunkelheit brechen Menschen auf, aus Gefangenschaft. So wie das Volk der Israeliten aus Ägypten und erfahren Rettung.
Nach dem Johannesevangelium (Joh 3,1-21) besuchte eines Nachts ein Pharisäer Nikodemus Jesus und stellte ihm Fragen. Diese Begegnung wurde schon immer als ein höchst spirituelles Gespräch angesehen. Die historische Existenz der Person Nikodemus lässt sich bezweifeln. Die Erfahrung zeigt aber: Des Nachts lassen sich intensive Gespräche führen, die in die Tiefe gehen. Am Tag sind viele Menschen eher auf Smalltalk aus und auf das, was uns beruflich oder privat beschäftigt. Wenn wir schlafen, verarbeiten den Tag. Und wenn wir noch wach sind, suchen wir jemanden, der uns bei der Bewältigung unserer brennenden Fragen hilft. Jesus antwortete ihm. Ich sage dir: Wo jemand von neuem geboren wird, das Licht der Welt in meinem Geiste erblickt, kann er das Reich Gottes sehen.
Sich neu geboren fühlen, in der Dunkelheit das Licht sehen, Hoffnung finden wider aller Hoffnungslosigkeit der Nacht, dazu lädt das Osterfest ein. Diese verlebendigende, existentielle Erfahrung Jesu, durch den Tod hindurch in das Licht der Auferstehung gegangen zu sein, möchte auch uns ergreifen und frei machen.
Mit einem möchte ich noch aufräumen: Das Christentum ist keine todessehnsüchtige Religion, die gar das Leid verehrt. Mit der Auferstehung ist dem Tod der Stachel genommen. Dennoch bleibt er unser Schicksal. Doch die hoffnungsvolle Sehnsucht richtet sich nicht nach dem Tod, sondern nach dem, der ihn besiegt hat. Daraus ließe sich vollkommen anders leben!
Es gibt ein wunderschönes Lied, dass vielleicht mehr sagt, als all diese Worte. Hier kannst du es hören:
Der Text aus dem niederländischen heißt übersetzt: “Jede Nacht sehne ich mich nach dir, o Gott. Ich sehne mich mit meiner ganzen Seele nach dir.” Diese Hommage an die Nacht macht mich nicht zum Grufti, zum Vampir, sondern die Nacht erinnert mich an den anbrechenden Tag, daran als Kind des Lichtes zu leben!