Folge 6
Ich war in dem Moment nicht erreichbar – stimmt. Doch wenn ich deine Nachricht jetzt so höre, war es keine ganz große Katastrophe. Besser wäre natürlich gewesen, Dir kurz Bescheid zu geben. Entschuldige dafür.
Ich bin aber froh, dass Du es so gelassen genommen hast und auch noch diesen Moment, den Du aus dieser Situation kreiert hast, mit mir teilst. Statt Dich total dem Ärger hinzugeben hast du die Zeit als „geschenkte Zeit“ für dich umgestaltet.
Ich kann Dir auch nicht sagen, wer den Teeaufguß entdeckt hat. Dass man die Blätter einer Pflanze in heißes Wasser werfen und das Resultat trinken kann, geht der Legende nach auf den chinesischen Kaiser Shennong zurück. Er trank gekochtes Wasser, um gesund zu bleiben. Eines Tages soll ihm ein Blatt in die Tasse gefallen sein, dann trank er – und war begeistert.
Wie sagt man im Volksmund – unverhofft kommt oft. Geben wir dem Leben eine Chance erfahren wir manchmal etwas Unerwartetes. Tee, Licht, Warten, Hoffnung irgendwie erinnert mich das alles an den Advent.
Übrigens bei der Teezeremonie handelt es sich nicht einfach um das servieren von Tee, sondern vielmehr um eine Kunst, die immer weiter vervollkommnet, ritualisiert wurde. Da Meditation sehr wichtig in der japanischen Kultur ist, soll diese durch die spartanische Einrichtung und die Gestaltung der einzelnen Schritte einer Teezeremonie unterstützt werden. Übrigens genau so wichtig ist die Unterhaltung nach der Zeremonie – es handelt sich um ein Gespräch, bei dem aus Höflichkeit keine weltlichen Themen angesprochen werden. Es geht sehr höflich zu, stetiges Bedanken und ein respektvolles Verhalten sind bei diesem genau durchgeplanten Ritual von großer Bedeutung.
Zeremonie, Kunst, Rituale, Abläufe, Dankbarkeit und freundliche Botschaften – und schon wieder muss ich an den Advent als Wartezeit, ja Ziehzeit denken, 1-2-3-4 …. . Heute manchmal überlagert vom Stress vom Ende her, Weihnachten. Im Ursprung war diese Zeit eine Fastenzeit und begann nach dem Martinstag. Spartanisch ausgestaltet – die vielen Süßigkeiten und üppiges Essen gab es dann zum Weihnachtsfest.
Es war quasi auch eine Ziehzeit, die der Vorbereitung auf das Geburtsfest Jesu Christi diente. Das Martinsfest markierte das damalige Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres, und es galt, die nicht-Fastenzeit-tauglichen Lebensmittel wie Fleisch, Eier und Milchprodukte an diesem Tag zu verzehren. Mit anderen Worten: Man ließ es sich an St. Martin noch einmal richtig gut gehen.
Was braucht denn im übertragenen Sinne in meinem Leben noch ein bisschen Ziehzeit? Was gibt mir einen Geschmack zurück, wenn ich dem Zeit lasse, es wirken lasse und nicht gleich konsumiere, sondern es betrachte und es in meinem Kopf und Bauch wirken lasse?
Es braucht vor allem Menschen wie dich, die auf eine solche Zeit hinweisen und diese als Geschenk verstehen, für sich selbst und für den Anderen. Ein solcher Mensch war auch Angelus Silesius der schon im 17. Jhdt. die Menschen vor zu viel Getriebensein, Betriebsamkeit schützen wollte:
„Nichts ist, das dich bewegt, du selber bist das Rad, das aus sich selbsten lauft und keine Ruhe hat. Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir, suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“